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Wann wurde die Torah an das Volk Israel gegeben?
Gedanken zu Shavouth, dem Fest der Übergabe der Torah.
Übermorgen am Montag, den 13. Juni feiert das jüdische Volk in aller Welt das Wochenfest Chag Ha’Shavuoth, von dem in 3. Mose 23, 15-16 geschrieben steht: „Danach sollt ihr von dem Tage nach dem Schabbat an zählen, von dem Tage an, da ihr die Garbe darbringt; sieben volle Wochen sollen es sein. … fünfzig Tage, dann sollt ihr dem Herrn ein Speisopfer von neuem Korn darbringen.“ Daher wird Shavuoth auch das Fest der Ernte und der Erstlingsfrüchte genannt, ein Pilgerfest, an dem die Israeliten zum Tempel gingen und ihre erste Ernte als Geschenk an die Priester gaben. Unsere Weisen haben herausgefunden, dass das Volk Israel nach dem Auszug aus Ägypten (im 13. Jh. v.d.Z.) und einer Wüstenwanderung von ungefähr 6 Wochen den Berg Sinai erreichte. Nach einer Woche Vorbereitung bekamen die Kinder Israel am 50sten Tag die Torah, so dass Shavuoth auch das Fest der Übergabe der Torah ist. Ein wunderschönes Fest – wichtig und reich an Ereignissen. Israel feiert es als großes lebendiges Fest mit Tanz und Gesang und mit köstlichen Speisen aus Milch und Honig. Aber seitdem ich denken kann, weckt dieser Tag jedes Jahr aufs neue folgende Frage bei mir: Was war die Übergabe der Torah am Berg Sinai tatsächlich? Seit Kindertagen war die Übergabe der Torah immer eng verflochten mit der Übergabe der steinernen Bundestafeln, „vom Finger Gottes beschrieben“ und durch Mose an das Volk Israel weitergegeben, das am Fuße des Berges Sinai wartete. So ist es bei den meisten Menschen, denn auf vielen Darstellungen ist es so zu sehen: immer die zwei Gesetzestafeln als Symbol der Übergabe der Torah. Aber – war es wirklich so? Die Geschichte der Übergabe der Torah, die Offenbarung am Berg Sinai, steht im 2. Buch Mose 19-25 + 31-35 und im 5. Buch Mose 9-10. Die Versionen beider Quellen sind nicht identisch, aber wenn wir sie gemeinsam betrachten, entdecken wir, dass keine Verbindung zwischen der Übergabe der Torah bei der Offenbarung am Berg Sinai und der Übergabe der Gesetzestafeln besteht. Am 50sten Tag nach dem Auszug aus Ägypten offenbarte sich Gott vor dem Volk „… da erhob sich ein Donnern und Blitzen auf dem Berge und eine mächtige Posaune ertönte, so dass das ganze Volk im Lager erschrak.“ Und es wurde die Stimme Gottes gehört, wie sie die zehn Gebote sprach. „Als das Volk Donner und Flammen wahrnahm, … fürchtete es sich und zitterte … und sprach zu Mose: Rede du mit uns und wir wollen hören, aber Gott soll nicht mit uns reden, damit wir nicht sterben“ und Moses übergab dem Volk die restlichen Regeln und Gesetze. Die ganze Torah wurde an unserem Wochenfest mündlich gegeben, am 50sten Tag nach dem Auszug aus Ägypten, am 6. des Monats Siwan (13. Juni). Am nächsten Morgen wurde Mose von Gott auf den Berg Sinai gerufen und blieb 40 Tage und 40 Nächte. Und dort erhielt er die Tafeln aus Gottes Händen. Als er herunter kam, um sie dem Volk zu geben, sah er, dass das Volk um ein goldenes Kalb tanzte und es anbetete – da nahm er die Tafeln und zerschmetterte sie am Fuße des Berges. Und Mose bestrafte das Volk schwer für seinen Frevel. Dies geschah am 17. Tammuz (24. Juli). Am darauffolgenden Morgen stieg Mose wieder auf den Berg Sinai, um von Gott Vergebung für den Götzendienst des israelischen Volkes zu erflehen. Gott straft die Israeliten zwar, beauftragt aber gleichzeitig Mose, sie zum verheißenen Land zu führen. Wieder blieb Mose 40 Tage und Nächte. Dann bat Gott Mose, zwei neue Tafeln, genau wie die ersten, zu ihm hinaufzubringen. Also verließ Mose den Berg am 28. im Monat Aw (2. September), bereitete neue Tafeln vor und stieg am nächsten Tag (29. Aw) erneut hinauf zu Gott. Abermals blieb er 40 Tage und Nächte. Gott beschrieb mit seinem Finger die neuen Tafeln von beiden Seiten und gab sie wieder in Moses Hände. Als Mose erneut hinabstieg war der 10. Tischri (13. Oktober) – unser Feiertag Jom Kippur. Und Mose gab die gute Nachricht von der Vergebung Gottes an das Volk Israel weiter, das Gott bat „verzeihe uns unseren Frevel und unsere Schuld und mache uns zu deinem Eigentum“. Jom Kippur ist unser höchster und wichtigster Feiertag, an dem wir büßen und für alle unsere Sünden beten, wie es heißt: „Das sei euch eine ewige Satzung, zu sühnen die Kinder Israel wegen all ihrer Sünden, einmal im Jahr.“
Die mündliche Übergabe der Torah, am Anfang direkt von Gott und später durch Mose als Mittler, ist unser Wochenfest, wie es in der Torah geschrieben ist. Die Übergabe der endgültigen steinernen Gesetzestafeln hat – nach der Auslegung unserer Weisen – vier Monate danach stattgefunden, an Jom Kippur. Was für eine bedeutungsvolle und schöne Erfahrung ist es, sich durch unsere Feste hineingenommen zu fühlen in die Geschichte unseres Volkes, die sich entlang dieser Kette von Ereignissen entfaltet, vom Auszug aus Ägypten – dessen wir an unserem Pessachfest gedenken – über die Übergabe der Torah – die wir am Wochenfest feiern – bis zu unserem heiligen Buß- und Bettag – dem Jom Kippur, an dem wir seit der Zeit des goldenen Kalbes über alle Generationen bis heute unsere Sünden bekennen und Buße tun.
Amnon Orbach
Torah: Kreis des Lebens – Kreis des Lernens
Sukkot, das Laubhüttenfest und Simchat Torah, das Torahfreudenfest
In einer Woche feiern die Juden in aller Welt Sukkot, das Laubhüttenfest. In der Torah heißt es: „In Hütten sollt ihr wohnen sieben Tage … Damit es eure Geschlechter erfahren, daß ich in Hütten habe wohnen lassen die Kinder Israel, als ich sie herausgeführt aus dem Lande Ägypten.“ (3.Mose 23, 42-43) Wie die meisten jüdischen Feiertage hat auch Sukkot ein landwirtschaftliches Motiv, es ist der Feiertag der Ernte, an dem alle Früchte von den Feldern und Weinbergen gesammelt werden und steht am Ende des landwirtschaftlichen Jahres. Aber nicht nur das landwirtschaftliche Jahr endet. Ein weiteres wichtiges Ereignis findet statt: die jährliche Torahlesung in den Synagogen endet. Man beendet das Lesen der ganzen Torah am Ende des 5. Buch Mose, und fängt unmittelbar im Anschluß von neuem an, mit der Schöpfungsgeschichte im 1. Buch Mose. Dies geschieht am 8. Tag von Sukkot, am Feiertag Simchat Torah, dem Torahfreudenfest. Eine Feier voller Fröhlichkeit, Gesang und Tanz mit der Torahrolle im Arm. Wenn ich das Ende der Torah lese, werden in mir viele Gedanken geweckt. An erster Stelle – ihr trauriges Ende. Mose, der große Anführer des Volkes Israel verabschiedet sich von seinem Volk und von der Welt. Ein Anführer, der sein ganzes Leben danach gestrebt hat, sein Volk nach 40 Jahren Wüstenwanderung in das Land Israel zu bringen, erlebt es nicht, selbst in das Land hinein zu kommen. “Und der Herr redete mit Mose … geh … auf den Berg Nebo … gegenüber Jericho, und schaue das Land Kanaan, das ich den Israeliten zum Eigentum geben werde. Dann stirb auf dem Berg … denn du sollst das Land vor dir sehen … aber du sollst nicht hineinkommen.” (5.Mose 34,7). Warum verdient Mose so eine schwere Strafe? Der Grund dafür ist in unseren Augen – menschlichen Augen – ein ganz unbedeutender: Als sich die Israeliten während der Wüstenwanderung bei Mose beklagten, daß sie kein Wasser zu trinken hätten, sagte Gott zu Mose, er solle das Volk sammeln und zu einem Felsen sprechen, so daß der Fels Wasser geben würde. Mose sammelte das Volk, aber anstatt zu reden schlug er mit seinem Stab zweimal gegen den Felsen und der Fels gab Wasser. Das war seine Sünde, wegen der er keine Erlaubnis bekam, in das Land Israel zu kommen, sondern mit seinem Leben bezahlte. Das Folgende ist ebenso erstaunlich: in Josuas Anwesenheit befiehlt Gott Mose, seine Aufgaben an Josua weiterzugeben. Nach unserem Verständnis – menschlichem Verständnis – würden wir erwarten, daß Gott Moses Arbeit zusammenfaßt und Josua bittet, das Volk weiter zu leiten. Aber so ist es nicht: “Und Gott sagte zu Mose: Siehe, du wirst bei deinen Vätern liegen und aufstehen wird dies Volk und nachbuhlen den Göttern der Fremden des Landes, … und wird mich verlassen und brechen meinen Bund, den ich mit ihm geschlossen.” Und so verabschiedet sich Mose von seinem Volk mit tiefen Gefühlen der Traurigkeit und des Kummers und sagt: “Denn ich kenne deine Widerspenstigkeit und deine Hartnäckigkeit. Siehe, indem ich noch lebend unter euch heute bin, waret ihr widerspenstig gegen den Ewigen unseren Gott; wieviel mehr nach meinem Tode, wenn ihr ausartet und weichet von dem Wege, den ich euch geboten.” Entlang des ganzen Weges den Mose sein Volk geführt hatte wurde es begleitet von Zeichen und Wundern: der brennende Dornbusch, Mose Begegnung mit Pharao, Manna in der Wüste – und noch mehr. Aber nichts konnte das Volk überzeugen allein an den allmächtigen Gott zu glauben. Änderung und Verbesserung von Menschen können nicht durch Faktoren von außen erreicht werden, egal welche es sind. Weder Zeichen noch Wunder oder mächtige Kraft können das bewirken und auch nicht „…die Stimme des lebendigen Gottes reden hören…“. Die Rufe der Propheten und Gottesboten, während aller Generationen konnten das Volk nicht beeinflussen, seinen Weg zu ändern und zu glauben. Offensichtlich gibt es keine Wechselbeziehung zwischen äußeren Erscheinungen, die den Menschen umgeben und seinem Verhältnis zu Gott und der Erfüllung der Gebote.Wir sehen hier, daß die Persönlichkeit der Menschen und ganz besonders ihr Weg zum Glauben ausschließlich abhängig ist von der persönlichen Entscheidung des Menschen, eine Entscheidung, die aus seinem Inneren und seinem Bewußtsein kommt. Deswegen empfiehlt Moses nach dem Mißerfolg seiner Mission in Bezug auf den Glauben an Gott jetzt einen alternativen Weg, der tatsächlich eine Chance hat. “Nehmet dies Buch der Lehre und leget es zur Seite der Bundeslade des Ewigen unseres Gottes.” und “… sollst du diese Lehre vorlesen in der Gegenwart von ganz Israel, … auf daß sie hören und auf daß sie lernen und fürchten den Ewigen euren Gott.” Obwohl die Offenbarung Gottes das Volk nicht zum Glauben gebracht hat – kann vielleicht gerade die Erziehung in der Lehre und in der Torah es dazu führen. Das Niveau der Kultur und Gedankenfreiheit unserer Generation erlaubt es uns – Christen und Juden – die Torah mit allen ihren Auslegungen, die ganze Bibel und alle anderen religiösen Schriften mit Offenheit, tiefgehenden Gedanken und Mut zu unterrichten und zu lernen, und kann dadurch die Einsicht in den Glauben für jeden nach seiner Art und seinem Verständnis erreichen. Lernen ist deshalb der richtige Weg um eine Persönlichkeit zu formen, die auf dem Weg des Glaubens gehen soll. Wie Rabbi Hillel schon sagte: “Sprich nicht ‚wenn ich Muße haben werde, will ich lernen‘ – vielleicht wirst du nie Muße haben.” Aber Lernen ist existentiell. Und deshalb feiern wir das Torahfreudenfest. Mit ihm beginnt der Kreislauf des Lernens jedes Jahr von neuem.
Amnon Orbach
Trage nicht auf ewig Unrecht mit dir!
Eine Auslegung der Beziehungen und Probleme zwischen den beiden Brüdern Jakob und Esau.
Ein Teil des Wochenabschnitt aus der Torah, der an diesem Samstag in allen Synagogen gelesen wird (1. Mose 32-33), behandelt ein Thema, mit dem sich jüdische Ausleger seit Generationen beschäftigen. Zwischen zwei Brüdern, den Zwillingen Jakob und Esau, herrscht seit über 20 Jahren tiefer Haß. Endlich entschließen sie sich, die entscheidenden Schritte zur Versöhnung zu machen. Der Weg vom Willen zur Versöhnung, über die genaue Planung des Zusammentreffens, bis zu dem Treffen selbst, ist eine phantastische Geschichte. Auch wenn sie vor 3000 Jahren geschah, ist sie gerade jetzt besonders aktuell und ich sehe große Ähnlichkeit zu dem, was in diesen Tagen in dem gleichen Land Israel geschieht. Die zwei Brüder, Junggesellen, lebten bei ihren Eltern, Isaak und Rebecca. Esau der Erstgeborene war „ein jagdkundiger Mann, ein Mann des Feldes“ und sein Vater Isaak hatte ihn lieb. Und Jakob der Zweitgeborene war „ein gesitteter Mann und blieb bei den Zelten“. Er wurde von seiner Mutter sehr geliebt. Der Streit zwischen den Brüdern begann, als Jakob seinen älteren Bruder Esau mit Hilfe der Ratschläge seiner taktisch denkenden Mutter zweimal in die Irre führte. Indem Jakob sich den großen Hunger seines Bruders Esau zunutze machte, kaufte er ihm, als Gegenwert für eine Portion Linsengericht, das Recht des Erstgeborenen am Erbe seines Vaters ab. Danach nutzte er die Blindheit seines Vaters Isaak aus, um auch den Segen, der für Esau gedacht war, zu stehlen. Das schaffte er durch eine Verkleidung, die seine Mutter ihm besorgt hatte. Unmittelbar danach floh er ins Ausland. Seither sind zwanzig Jahre vergangen und Jakob kehrt nach Israel zurück, reich an Familie und Besitz, an Vieh und Knechten und Mägden – fast schon der Anfang eines ganzen Volkes. Auch Esaus Stamm der Edomiter hat sich entwickelt und ist so groß geworden wie der seines Bruder. Wahrscheinlich war beiden klar, daß das Land zu klein ist, um mit dem Haß zwischen zwei Brüdern und zwei Stämmen zu leben. Ohne daß sie sich darüber verständigt hätten, hat jeder Bruder für sich entschieden, daß sie sich treffen müssen, um ihren Streit beizulegen. So gingen sie einander entgegen. In Jakob entdeckt man eine moralische und außergewöhnlich interessante Persönlichkeit. Die Ursache für die seelische Schwäche in der er sich befindet ist nicht schwer zu verstehen: sein Gewissen ist nicht rein. Was vor zwanzig Jahren geschah bedrückt sein Gewissen schon lange Zeit und er hat nicht die Kraft und den Mut seinem Bruder gegenüberzutreten. Von den Boten, die er zu Esau geschickt hat, um ein Treffen zu vereinbaren, erfährt er, daß sein Bruder schon mit 400 Menschen auf dem Weg zu ihm ist, und er weiß nicht, ob Esau gegen ihn kämpfen oder ihn ehren will. Jakob hat sich vorbereitet: er bringt ein gigantisches Geschenk von Herden aus seinem Besitz und er betet zu Gott, daß er auf seiner Seite sein und ihm helfen soll. Gleichzeitig bereitet er für seine vielen Begleiter einen möglichen Rückzug vor. Jakob ist zwar stark und er kann auch einen Kampf oder Krieg durchstehen, aber kann er mit seinem belasteten Gewissen seinen Bruder bekämpfen? Soll er noch eine Sünde zu seiner ersten hinzufügen? Es heißt (V. 8): „Da fürchtete sich Jakob sehr und ihm ward Angst.“ Warum wird die Angst Jakobs doppelt erwähnt? Eine Auslegung erklärt, daß Jakob zwei Arten von Ängsten hatte: Er hatte Angst getötet zu werden und er fürchtete sich, zu töten im Falle eines Kampfes. Diese Furcht ist keine Schwäche, sondern ein tiefer seelischer Prozeß in einem empfindsamen Menschen, der versucht Unrecht das er verursacht hat wieder gut zu machen. Dieses Unrecht liegt in seinem Bewußtsein tiefer als in Esaus. Wenn ein Mensch seinen Freund beleidigt, so erklären die Psychologen, ist es viel leichter für den Beleidigten zu vergessen oder zu verzeihen, als für den Beleidiger. Aber wenn der Beleidiger moralische Werte hat, liegt ihm sein Unrecht lange Zeit auf dem Gewissen, manchmal bis zu seinem Lebensende! Esau und Jakob treffen sich. Erfreulicherweise mit Umarmungen, Küssen und Weinen, aber auch nicht viel mehr als das. Beide Seiten haben sich gegenseitig kennengelernt, nach vielem Bitten war Esau bereit das Geschenk Jakobs zu akzeptieren, laut dem Text war es eine kurze Begegnung und nach dem Abschied trafen sie sich nie wieder. Ein schöner Kommentar macht auf folgende Stelle aufmerksam: Jakob bittet Esau: „So nimm doch meinen Segen, den ich dir bringe.“ Warum heißt es statt ‚Geschenk‘ ‚Segen‘? Der Ausleger sagt, es ist eine „Freudsche Fehlleistung“: für den Segen, den er Esau gestohlen hat, will Jakob wieder etwas gut machen. Und warum habe ich soviel Aktualität in diesem Thema gefunden? Zwei Völker leben in meinem Land, in Israel. Von ihrem Ursprung her Blutsverwandte, die nach hundert Jahren von Haß und Gewalt schon lange versuchen untereinander Frieden zu schaffen. Und Gott gebe, daß die beiden soviel Erfolg haben, wie die zwei Brüder von denen ich erzählt haben.
Die Gabe der Torah – ein universaler Wert
Shavuoth, das Wochenfest
Dieses Jahr, am 21. Mai, wird das jüdische Volk in der ganzen Welt “Shavuoth”, das Wochenfest feiern. Es ist einer der drei Feiertage, an denen dem ganzen Volk Israel geboten war, eine Pilgerfahrt zum Tempel nach Jerusalem zu machen. 5. Mose 16, 9-12: „Sieben Wochen sollst du zählen und damit anfangen wenn man zuerst die Sichel an die Halme legt und sollst (am fünfzigsten Tag) dein Wochenfest halten dem Herrn deinem Gott…“ (‘Wochen’ heißt auf hebräisch ‘Shavuoth’) In der Torah wird dieser Feiertag auch mit anderen Namen bedacht, wie „Fest der Ernte“ (2. Mose 23, 16) und „Tag der Erstlinge“ (4. Mose 28, 26). Die letzten beiden Namen bezeugen den landwirtschaftlichen Hintergrund dieses Festes, der während der Zeit des zweiten Tempels (vom Ende des 5. Jh. v.d.Z. bis zur Zerstörung des Tempels im Jahre 70 n.d.Z.) dessen Charakter herausragend bestimmte. Das ganze Volk pilgerte nach Jerusalem und brachte die erste Ernte mit, als Geschenk an die Priester des Tempels. Im Christentum, das diesen Feiertag adoptiert hat, – aber mit anderen, eigenen Bedeutungen – wurde er auf griechisch wie auch auf englisch „Pentecoste“ genannt, bei uns „Pfingsten“, der fünfzigste Tag. Wir finden im Neuen Testament in Apg 2,1, daß die Apostel und auch die erste christliche Gemeinde, die vor allem Juden waren, das Wochenfest mit dem Hintergrund ihres spezifischen Glauben an Jesus gefeiert haben, das nach ihrem Glauben der fünfzigste Tag nach der Auferstehung Jesu war. Für mich ist es an diesem hohen Feiertag wichtiger, sich auf seine zusätzliche Bedeutung zu konzentrieren, eine Bedeutung, die in der Torah überhaupt nicht erwähnt wird – ihr Echo aber hallt nach und wird nachhallen auf ewig. Eine zutiefst bedeutungsvolle Änderung haben unsere Weisen für diesen Tag bewirkt, als sie ihn von einem hauptsächlich landwirtschaftlichen Feiertag zum Tag der Übergabe der Torah gewandelt haben. Nach der Berechnung unserer Gelehrten hat Mose an diesem Tag die Torah am Berg Sinai aus den Händen Gottes erhalten. Es fällt schwer, die Zeit genau zu bestimmen, in der diese zusätzliche, neue Bedeutung eingeführt wurde, aber höchstwahrscheinlich war es in der Zeit des zweiten Tempels. Solange der Tempel existierte, war die Bedeutung des Wochenfestes eine mehr landwirtschaftliche; nach der Zerstörung des Tempels und dem Ausgang ins Exil, bekam die Übergabe der Torah an das Volk Israel herausragende Bedeutung. Die Torahübergabe bedeutet in der jüdischen Tradition die Akzeptanz der zwei Tafeln, die Mose aus den Händen Gottes erhalten hatte, auf welchen die Zehn Gebote eingraviert waren; sie sind der Höhepunkt und das zentrale Thema unserer Torah. Die ganze Torah konzentriert sich um die Zehn Gebote, erklärt sie und dient ihnen. Die letzten fünf Gebote sind in der antiken Welt sehr bekannt – sie handeln von Regeln und Gesetzen zwischen dem Menschen und seinem Nächsten, ohne die keine menschliche Gesellschaft existieren kann: Verbot von Mord, Unzucht, Stehlen, falsches Zeugnis reden, Begehren des Besitzes deines Nächsten. Heute möchte ich mich aber auf die grundlegenden Erneuerungen in den ersten Geboten konzentrieren: Zum ersten das absolut transzendente Konzept von Gott; der Gott Israels steht über- und außerhalb der Natur. Und die ganze Natur, im Himmel, auf der Erde und unter dem Meer, ist das Ergebnis seiner Schöpfung, die Gott nach seinem Willen geschaffen hat. Daher erklärt sich auch eine praktische Erneuerung: man soll Gott nicht beschreiben, kein Bild, keine Statuen und keine andere Darstellung von ihm fertigen, die irgend etwas in der Natur ähnlich ist, sowie das Verbot den Namen Gottes unnütz zu erwähnen. Zum zweiten: Gott ist einer und es gibt keinen zweiten oder anderen. Er war, er ist und er wird sein, als erster, vor allem und als letzter. Dies ist die Grundlage des monotheistischen Glaubens, des Glaubens an den einen und einzigen Gott – dies ist der Glaube Israels. Und zum dritten ist das Thema des Shabbats (Samstag) in den Zehn Geboten eine wichtige Erneuerung. Der Name Shabbat und die Verbindung mit einem bestimmten Tag war wahrscheinlich im antiken Osten bekannt, vielleicht schon vor der Entstehung des Volkes Israel. Aber in Israel bekam der Shabbat durch die Zehn Gebote eine einzigartige neue Bedeutung. Der Shabbat ist ein Feiertag der Ruhe und Erholung für alle die, die Arbeit verrichten und etwas leisten – für jeden Menschen und alle Tiere. Aufgrund dieser universalen Erneuerungen ist das Wochenfest, Shavuoth, als Feiertag der Übergabe der Torah nicht nur ein jüdisch-israelisches Fest, sondern hat eine sehr tiefe Bedeutung für alle Religionen und Völker.
Amnon Orbach